Wandel eines Lebens

Verfasst: Ca. 2006

Ich habe gedacht, ich kehre nie zurück –
Doch jetzt nähere ich mich dem Ort Stück für Stück.
Pechschwarz glitzert der See im trüben Licht.
Man meint, er bewegt sich, doch das tut er nicht.

Die Straße führt mich vorbei an dem steilen Hang,
An dem wir damals manchmal nächtelang
Die Sterne anschauten und die Stille genossen,
Während die Lichter im Ort unbemerkt zerflossen.

Mein Weg kreuzt das Haus mit den schiefen Fenstern,
Von dem wir glaubten, es sei bewohnt von Gespenstern.
Es steht noch so schief wie vor langer Zeit,
So als wär’ es errichtet für die Ewigkeit.

Ich passiere den Sportplatz an der Grenze zum Wald.
Es ist, als wenn in meinen Ohren der Jubel widerhallt,
Der hier an Sonntagen im Sommer stets laut erklang,
Wenn eine Mannschaft ein wichtiges Spiel gewann.

Ich betrachte die Gegend mit feuchten Augen.
Alles liegt friedlich, und ich kann einfach nicht glauben,
Dass sich nichts verändert hat in all den Jahren.
Jede Kleinigkeit ist wie damals zu Kindertagen.

Ich höre deine Stimme noch ganz genauso klar,
Als wenn es gestern, als wenn es gar erst heute war:
„Hier bleiben wir ewig, hier werden wir alt.“
Doch alles kam anders und ich verließ dich bald.

Ich wollte raus, ich wollte die Welt entdecken,
Wollte mich nicht länger in dieser Einöde verstecken.
Ich ging, weil ich vorhatte, alles zu wissen,
Wollte keine Erfahrung, keine Reise missen.

Ich lernte und studierte überall auf der Welt
Und verdiente mit der Zeit sogar richtig viel Geld.
Die Tage waren kurz und ich dachte kaum
An unsere früheren Ziele, unsren früheren Traum.

Irgendwann war mir, als könnt ich nicht mehr wissen,
Als das, was ich wusste, und ich begann, dich zu vermissen.
Um mich herum wurde es zu hektisch und zu groß,
Und ich sehnte mich zurück in deinen wärmenden Schoß.

Weißt du eigentlich, dass du mir etwas gabst, das ich nirgendwo fand?
In keinem Ozean, keiner Wüste und keinem einzigen Land?
Weißt du, dass ich mir wünsche, ich hätte dich niemals verlassen?
Dass ich mir wünsche, ich hätte alles beim Alten belassen?

Dein Haus steht im Abendlicht so verlassen und leer,
Als wendet es sich ab und erkennt mich nicht mehr.
Der Garten ist gepflegt wie eh und je,
Nur an manchen Stellen sprießt hellgrüner Klee.

Der Kirschbaum steht noch an seinem bewährten Ort,
An dem ich dir einst sagte: „Ich gehe jetzt fort.“
So sehr sehne ich mich zurück in diese Sekunde,
Dass mein Körper schmerzt wie eine einzige, riesige Wunde.

Jetzt schlage ich den Weg zum Friedhof ein,
Fühle mich seltsam betäubt, ganz frei von Pein.
Man sagte mir, wo sich dein Grab befindet,
An dem nur noch ein Schriftzug an dich erinnert.

Ich stehe vor dem kalten, grauen Gestein.
Hinter den Bäumen glitzert der letzte Sonnenschein.
Ich denke an alles, was geschehen ist,
Und hoffe insgeheim, dass du irgendwo bei mir bist.

Ich versuche mich zu entsinnen an jedes Detail in deinem Gesicht,
Doch die Erinnerung ist trüb und es gelingt mir nicht.
Die glücklichen Zeiten sind zu lange her.
Ich frage mich, ob du jetzt noch bei mir sein könntest,
Wenn ich niemals weggegangen wär’.

Copyright: Meike Mittmeyer-Riehl, 2006
Keine Weitergabe oder Vervielfältigung ohne ausdrückliches Einverständnis der Autorin!

Beitragsfoto: Peggy Choucair auf Pixabay

Veröffentlicht von Meike Mittmeyer-Riehl

Mein Name ist Meike, ich bin Anfang 30 und komme aus Südhessen. Ich bin Journalistin und arbeite derzeit halbtags als Pressesprecherin einer Kommune und nebenher freiberuflich für die Zeitungen im VRM-Verlag. Ich liebe es, durch die Welt zu reisen, Neues zu entdecken, in Pfützen zu springen, stundenlang in die Sterne zu schauen, bei Rockkonzerten laut mitzusingen und meine Katze zu streicheln.

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